Shadowrun Berlin

Die Online Erweiterung von Andreas AAS Schroth

Drachenbrut 03 | Jahre des Blutes (2)

LENINGRAD | 2031

Die dünne Metalltür der Blechbaracke fliegt mit lautem Knall ins Schloß. Nur in Unterwäsche steht Nikolai in der Tür des spärlich beleuchteten Raumes, der nunmehr achtzehn Soldaten als Quartier gilt. In Armen hält er seine Uniform, seinen Helm mit integriertem Koordinationscomputer und Sichtbrille sowie seine Stiefel, seine Kalashnikov III hat er ebenso wie seine Tasche um die Schulter geschlungen.

„Willkommen in der Hölle“ sagt ein schwarzhäutiger Mongole, der am Rand des vordersten Bettes sitzt und seine Stiefel putzt. Sein Namensschild identifiziert ihn als „D. SMUJENEV“. Seine Augen sind glasklar und grau, sein Körper kräftig. Das Haar hängt ihm in rot getünchten Strähnen ins Gesicht. Schnaubend erhebt er sich, klopft Nikolai auf die Schulter.

„Ich bin Dmitri, aber die anderen nennen mich Dimmi. Hey, hätte nicht gedacht, daß die auch Norms ziehen.“

Nikolais Blick verfinstert sich. Er hat nie viel darauf gegeben, Skythe zu sein, aber mit den Bildern der Militärpolizei und den Vehören unter Leitung von „normalen“ Menschen frisch ins Hirn gebrannt klingt der Begriff „Norm“ wie eine Beleidigung. Er will keinen Anteil an ihren Geschäften – wie Nadja keinen wollte.

Zwischen zusammengebissenen Zähnen stößt er hervor:

„Nenn. Mich. Nie. Wieder. Norm. Ork.

Der Typ, den sie Dimmi nennen, lacht auf, wischt sich die Nase am Unterarm ab und führt den viel leichteren Nikolai zu drei anderen Soldaten, die Karten spielen und Bier trinken. „Und das hier sind Juri, Moskwa und der dicke Gote heißt Ghandi“.

Eine rauchige Stimme zischt von weiter hinten: „Klappe, Dimmi, Du Arsch.“

„Oh, und Mademoiselle dahinten ist Venka – auch“n Löwenzahnfresser, allerdings frißt sie Schrauben ungekocht…“

„… und spült sie mit Benzin runter“ kommt die sonore Stimme des Goten. Seine baumstammdicken Arme sind über und über tätowiert, und lediglich seine dünn golden eingerahmte Brille und „Frisur“ vermögen eine Ähnlichkeit zu Ghandi herzustellen. Die an zweifellos seinem Bett lehnende Sturmkanone jedenfalls nicht.

Die drei Kartenspieler lachen und fahren fort, Witze über Venka zu machen, während Nikolai seine Sachen abstellt und sich auf das quietschende Bett fallen läßt. Venka beäugt ihn aus der Düsternis ihrer Koje – er bemerkt es nicht. In seiner Faust hält er einen zusammengeknüllten Zettel.

 Wie bunte Blätter ohne Halt steht darauf geschrieben. Ab der Hälfte fehlt der Rest. Nikolai hofft, daß Nadja ihn noch hat.

Er hat die Leute von der Militärpolizei gefragt, was mit ihr geschehen wird, doch ihre Gesichter blieben hart.

Er hat den Offizier, der das Verhör geleitet hat, gefragt, was aus seiner Geliebten wird. Er stelle hier die Fragen.

Er hat mit seinen Eltern telefoniert, doch sie wußten nichts über Nadja.

Noch im Hafen von Odessa hatte man sie geschnappt. Als von Deck der Ruf „Verstecken!“ kam, da wußte Nikolai schon, daß es vorbei war. Und Nadja wußte es auch.

Im Lagerraum war die Unterredung mit den Soldaten nur gedämpft zu hören. Durch die Planken des Decks drangen feine Strahlen von Sonnenlicht, tauchten Nadja in ein Licht, das sie überirdisch schön scheinen ließ.

Wie damals bei Nathalya hatte Nikolai Schuld empfunden, als hätte er sie nie genau genug angesehen, als hätte er auch ihre Anwesenheit als zu selbstverständlich genommen – auch wenn der Vergleich zu seiner Freundschaft mit Nathalya rein faktisch nicht zutraf.

Ihre dunkelgrauen Augen glänzten feucht von den Tränen, mit denen sie rang. Er umklammerte sie fest, sog tief ihren Geruch ein, als ob er sie nie wieder würde halten können. Sie hörten, während sie sich zu einer unhörbaren Musik wiegten und sich küßten, wie der Kapitän, Nadjas Onkel, oben mit den Soldaten feilschte.

Er bot ihnen Wodka.

Er bot ihnen Geld.

Viel Geld.

Nikolais Erspartes – weitaus genug, um einen Marineoffizier zu kaufen – oder sein Boot.

Aber die Soldaten waren unerbittlich. Ungewöhnlich. Aber nicht verwunderlich für Nikolai.

Irgendwie hatte er es geahnt.

Schließlich fiel Licht in den Laderaum, und aus dem Licht kamen die Befehle, hochzukommen.

Zwei Boote der Marine waren am Frachtkutter vertäut, harte Gesichter der Soldaten brüllten Befehle über Deck, Nadjas Onkel stand abseits, das Gesicht bleich wie ein Leichentuch.

Sie schlugen Nikolai – sie schlugen auch Nadja. Schlugen und schlugen, bis beide zusammenbrachen, traten auf sie ein. Auf dem Boden liegenden, sahen sie sich das letzte Mal in die Augen, trotz der Hiebe erreichten ihre Hände sich noch einmal. Dann wurde Nikolai schwarz vor Augen, um sich erst im Verhörzimmer der Militärkomission in Neu-Moskau wieder zu öffnen.

Wo die schlimmsten Nächte seines Lebens begannen.

 

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