Shadowrun Berlin

Die Online Erweiterung von Andreas AAS Schroth

Drachenbrut 03 | Jahre des Blutes (8)

HAMBURG | 2053

„Zdrastwujtje, Tolstoi. Kak poshiwajete ?“

Ein entferntes Gefühl von déja-vu überkommt Tolstois Sinne, als die aus der Dunkelheit auftauchenden Fehlermeldungen der Cyberaugen durch ein ruckelndes Bild ersetzt werden. Ein kurzer Moment der Orientierungslosigkeit, dann stehen ihm wieder genug Gehirnwindungen zur Verfügung, um sich über die förmliche Anrede von Doc Sitkajew zu wundern.

„Spasibo, k-soshaleniju, plocho.“ gibt er lakonisch zurück, irritiert von der Taubheit seiner Zunge. Er checkt den Schmerzdämpfer, doch dieser ist nicht aktiv. Er schüttelt sich, fokussiert seinen Blick auf die spindeldürre, abnorm häßliche Gestalt der Doktorin. Ihre ungesunde Gesichtsfarbe erweckt nicht unbedingt den Wunsch, sich von ihr behandeln zu lassen, aber in ihren dürren sehnigen Fingern steckt eine Unmenge Talent, wie Tolstoi schon mehrmals auf unbequeme Art und Weise erfahren durfte.

Seine Gedanken kommen erst langsam wieder auf Touren.

 Ich sehe Doc Sitkajew, ergo ich bin in ihrer Klinik, ergo in Wildost, ergo die Piraten haben mich hergeschafft.

„Na schto shalujetjes ?“ unterbrach Doc Sutkajew seine Gedanken, unterdessen ihre dürren Finger über Tolstois Körper gleiten.

Er kann sich ein schiefes Grinsen abgewinnen, ehe er matt und monoton erwidert:

„U menja bolit ruka, shiwot, noga, golowa, sheludok, ucho, scheja, pletscho i grudnaja kljetka, i u menja ponos, shar, serdjetschnyje boli, kaschel, toschnota i…“

„Choroscho, choroscho, spasibo, durak !“ unterbricht ihn die Frau mit der dünnen, abnorm spitzen Nase und gibt ihm einen Klaps auf die Stirn.

Protestierend erhebt er sich und fährt fort: „Ah, i mnje nushna spravka dlja mojewo strachowanija ! Zavtrak vkljutschon w-ätu tsenu ?“

„Sewodnja njet, durak, ostav menja v-pokoje.“ lacht sie durch eine Reihe schiefer Zähne, unterdessen Tolstoi vorsichtig von dem kaum hygienisch zu nennenden OP herunterrutscht.

Unerwartet geben seine Knie nach, er fängt sich aber ab. Mit verschwimmendem Blick betrachtet er seinen Körper, registriert den Verband an Brustkorb, rechtem Arm und linkem Knie (wann immer es sich dort verletzt hat). Er fragt den Doc nach der Verletzung am Knie, woraufhin sie ihm am Computer eine Lasertopografie des Knies zeigt – offenbar ist ihm beim Herumwirbeln in dem überfluteten Keller, als er sich zur aufberstenden Wand umdrehen wollte, die Kniescheibe herausgeflutscht.

Eine der leichtesten Übungen für die ehemalige Chefärztin an der Jelzin-Universitätsklinik in St. Petersburg.

Während sich der Elf die Hose anzieht und die Jacke überwirft, einigt man sich auf die Bezahlung – was immer Tolstoi für die Unterstützung der Piraten herausschlagen kann, geht an Sitkajew. Ein +/-0 Deal, as usual.

Mürrisch stellt Tolstoi bei Durchsicht seiner Ausrüstung fest, das das AK nicht mehr da ist. Das Ding hätte er gut an die Skythes verjubeln können. Seufzend stellt er fest, daß wenigstens seine sonstigen Waffen noch da und funktionsfähig sind.

Kaum aus der Tür der in der Tiefe von Wildost verborgenen Schattenklinik, wird er schon von Sergej begrüßt, der fast in ihn hineinrennt.

„Priwjet, Tolstoi. Alles choroscho, drug ?“

Die Art, wie Sergej ihn mustert, gefällt Tolstoi nicht. Es stinkt nach Biz, und er ist müde – und noch immer halb betäubt. Dennoch zuckt er teilnahmslos mit den Achseln, was Sergej offenbar Bestätigung genug ist (DRINGENDES Biz, korrigiert Tolstoi seine Einschätzung).

„Dawai, Tolstoi, du mußt mir helfen, drug. Bei der Razzia haben die Drekheads von Khans Reitern ’n Hovercraft von mir gekapert, joli-palki! An Bord is‘ aber ’ne heiße Lieferung für’n Schmidt, die muß heute abend noch in Geesthacht sein.“

Das Display von Tolstois Cyberaugen zeigt zwei Fäuste mit emporgestrecktem Mittelfinger. Er geht schräg an Sergej vorbei.

„Ey, Nikolai, bau kein‘ Scheiß, Du mußt mir helfen. Wenn ich den Kram nicht liefere, is‘ meine Rep im Eimer, weißt doch, wie das geht, Hamburg isn Dorf.“

Tolstoi schüttelt nur den Kopf, versucht, mit einer Hand die Packung Zigaretten zu öffnen, die er aus seiner Tasche hervorkramt.

„Mnje otschen shal, Sergej…“

„Hey, drug, auf Dein Mitleid kann ich verzichten, ich brauch HILFE, Scheiße nochmal.“

Die Packung will sich nicht öffnen. Enerviert fährt der schwarzhaarige Ex-Soldat herum.

„ACH JA ? Hörma“, Chummsky, Du siehst, wo ich gerade herkomme, oder ? Sut-ka-jew. Doc-tor-ski, capice ? Ich fühl mich total fertig, und die Schrammen hab ich gerade erst bekommen, weil ich Dir geholfen habe…“

„Ey, ola, immerhin hab ich Dich aus dem Keller rausgepaukt.“

„SO FRAGGIN“ WHAT ? Hätte ich mich beim ersten Zeichen von Ärger verdrückt, wäre ich nie in diesem Scheiß-Dyr gelandet, gawno !“

„…und außerdem, Du kriegst ja Knete von mir, komm schon.“

Tolstoi hält an, dreht die Hände und das Gesicht zur Decke, als würde er mit Gott Zwiesprache halten und ihn stumm bitten, einen Blitz auf Sergej fahren zu lassen.

„Sach ma, Serge, schnallst Dus nicht ? Ich will nur nochn Wodka trinken und mich hinhauen, so ka ? Ich hab kein gesteigertes Bedürfnis, den Doc heute nochmal zu sehen – obwohl ich bei nem Fight gegen die Khans schon froh sein könnte, wenn ich überhaupt noch wen sehe danach. Kacke, die benutzen Skythenschädel als Aschenbecher, frag. Sides: Die Knete,die Du mir geben willst, kannste gleich bei Sutkajew lassen, thanx. Iiiiiii pÿka !“ wobei er die Verabschiedung mit einer wegwerfenden Handbewegung unterstreicht, während er sich wieder zum Gehen wendet. Seine schwarzen Stiefel knirschen auf den Knochenresten einer Teufelsratte, die über den Boden vor der Klinik verstreut sind.

„Da, Choroscho, ist ja gut. Aber wie wärs damit: Ich zahl den Doc, zahl ihn auch, wennde ihn nach dem Run noch brauchst, und leg noch 1.000 drauf.“

Immer noch abgewandt, zündet sich Tolstoi eine Zigarette an, spricht in die leere Luft: „Für 1.000 kriegste von mir nichman Händedruck, towarisch.“

„Choroscho, 2.000.“

„Und ne Kiste Muni, 1.000er Ketten-Ammo.“

„Konjeschno.“

„Und 4 Kisten Wodka.“

„Choroscho.“

„Und ne Sulameinov K-11 – noch bevor“s losgeht.“

„Razumjejetsa. Daw…“

„UND 10 IPE def- und offensiv. UND ne LK4.“

„IZNINITJE ??? KAK ???“

„Schieb hier keinen Russen, Serge, hab die LK4 beim Andocken an Wildost gesehen – SO weg war ich nun auch wieder nicht.“

Das stimmte zwar nicht ganz, aber die Kamera der BABA YAGA DISPLAY SYSTEMS hatten einige Sequenzen selbsttätig aufgenommen – ob Tolstoi nun weg war oder nicht.

„Das Ding kostet seine 6.000 alleine, Du Halsabschneider…“

„Ach ? Nun, der Halsabschneider kostet die LK und das andere Spielzeug. Deal oder nicht Deal, mir wurscht. Kannst mich ja nachher anbimmeln – aber eins sag“ ich Dir: Wenn ich erstmal gemütlichzu Hause liege, steigt der Preis nochmal, so ka ?“

„Drek, ty gawno, swolotsch…“

„…und für den swolotsch gibt“s noch Deine Uhr drauf, Du weißt schon, die alte mechanische aus UdSSR-Zeiten.“

„Scher Dich zum Teufel !“

Schulterzucken. Tolstoi nimmt wieder seine Tasche auf und setzt sich in Bewegung, mißt die beständig abnehmende Entfernungsanzeige zur nächsten Ecke. Noch 4 Meter, noch 3, noch 2…

„DA ! DA ! DA ! OKAY ! Wir sind im Geschäft. Komm in 2 Stunden zum Höllenloch, da steht die LK und der andere Krempel.“

Bevor er um die Ecke geht, wendet sich Tolstoi nochmal halb um. Seine Stimme klingt teilnahmslos wie zuvor, verrät keine Überlegenheit oder Genugtuung. Tatsächlich scheint es keinen Unterschied zu machen, ob er den Job bekommen hat oder nicht.

„Vergiß die Uhr nich, drug.“

 

 

3 Antworten zu “Drachenbrut 03 | Jahre des Blutes (8)

  1. Sphyxis Dezember 12, 2011 um 20:10

    Hallo,
    an dieser Stelle würde ich dann doch um eine kleine Übersetzung bitten. Hab sonst das Gefühl, mir entgeht die Hälfte dieses Teilkapitels!

    Aber sehr interessant bis hierher!

    • rabenaas Dezember 12, 2011 um 21:55

      Damit bist du nicht alleine. Ich spreche kein Woprt Russisch und hab die betreffenden Texte vor beinahe 20 Jahren mithilfe eines Russisch-für-Touris-Buches erstellt — und heute keine Ahnung mehr, was sie bedeuten.

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