Shadowrun Berlin

Die Online Erweiterung von Andreas AAS Schroth

Drachenbrut 03 | Jahre des Blutes (14)

TIR N’ZAGH | 2034

„Mordrak-Khan, ich bitte Dich. Das kannst Du nicht tun !“

Die schwere Tür fliegt knallend ins Schloß. Die Elfe, die eingetreten ist, verlangsamt ihren vormals hastigen Schritt und bleibt in einiger Entfernung stehen. Aus der Dunkelheit seines massiven Kopfes schält sich ein fahles, bläulich-weißes Glühen, als der Drache sein Auge träge öffnet.

„So habt Ihr meine Nachricht erhalten.“

„Natürlich habe ich das. Was soll das ? Willst Du Spielchen mit mir spielen ?“

Die Winkel seines fangbewehrten Maules scheinen sich zu einem sanften Lächeln zu heben. Ohne daß sich sein Maul weiter bewegt, ertönt seine sonore Stimme in ihrem Kopf; eine Stimme, die wie der Wind über der Taiga klingt, unglaublich sanft, aber kalt wie Eis.

„Und wenn dem so wäre ?“

„Das kannst Du nicht tun !“

„Oh, doch, Nadjuseanel, ich kann. Und werde.“

Das Licht seiner Augen wird schwächer, als er den schwarzen Kopf sinken läßt.

„Aber warum ? Warum tust Du mir – uns – das an ? Haben all die Jahre der Freundschaft kein Gewicht für Dich ? Ich bitte – Ich flehe Dich an, Mordrak-Khan, fordere einen anderen Tribut !“

Ein Rasseln geht durch den schwarzen Leib des Drachen, als er sich langsam erhebt. Die Klauen seiner vorderen Pranke stoßen funkenstiebend auf das polierte Gestein der Halle, ein Geräusch wie Schwerter auf den Grabplatten der Besiegten.

„Du solltest mich besser kennen, als mich anzuflehen. Bezeugungen von Schwäche haben auf mich noch nie Eindruck gemacht, wie Du wissen solltest. Nicht zu den Zeiten, da sich die Mongolen gegen mich erhoben. Nicht zu den Zeiten, da die Große Seuche unser Land befiel. Nicht zu den Zeiten, da ich im Verborgenen schlummerte und die Mächte dieses Landes schmiedete. Nicht in den Tagen, in denen ich erwachte und den Weg der Schatten betrat. Und sicherlich nicht heute.“

„Aber warum, Mordrak-Khan ? Wenigstens Rede und Antwort bist Du mir schuldig.“

Ein leises Lachen ertönt, scheint von den Wänden der schwarzen Festung zurückgeworfen zu werden.

„Ich DIR etwas schuldig ? War ich es nicht, der Deinem Gemahl half, die Saat zu verbergen vor den hungrigen Augen seines Halbbruder Me’Dojh ? Habe ich seinen Samen, die Saat seiner Familie Ruhm nicht all die Zeit bewahrt ? Habe ich sie nicht an seinen letzten Sproß gegeben, wie Du mir aufgetragen ? War ich es nicht, der Dich aus dem Lager des N’Zhuggirath befreite ? War ich es nicht, der Deinen Nachkommen von des Todes Klinge riß ? Schuldig? Was ist mit Deiner Schuld ? Kannst Du es verantworten, was Du Deinem Nachkommen angetan ? Hast nicht Du Dich blenden lassen von seinem Abbild, das Deinem Gemahl, tot und begraben, so gleicht ? Nein, Nadjuseanel, DU bist diejenige, die die Träume Deines Volkes verrät. Die entgegen ihrer Pflicht gehandelt hat. Du hättest Deinem Herz nicht gestatten dürfen, ihn zu lieben. Doch Du hast. Du hättest ihn vorbereiten müssen. Doch Du hast nicht. Nicht ich habe Dir das angetan, nur Du Dir selbst.“

Nadja beginnt zu zittern. Wäre Nikolai nur in Deckung geblieben. Hätte er doch noch seine Augen gehabt, sein Herz hätte gesehen, daß nicht sie es war, die er getötet hatte.

Und doch – der Drache, der Zar von Tir N’Zagh, dem Dunklen Land, Herr der Russenmafia, hatte Recht. Hätte sie ihm den Weg gewiesen, er hätte nicht zu den Mitteln der Technik gegriffen und seine Seele zerstört. Sagt man nicht, das Liebe auch bedeutet, verzichten zu können ? Um das Wohl des andern wegen ?

„Gut, Mordrak-Khan. Ich werde gehorchen. Du sollst nun sein Lehrer sein. Bereite ihn gut vor auf das, was vor uns liegt. Ich werde tun, wie mir geheißen, und nicht mehr unter seine Augen treten. Aber um einen Gefallen bitte ich Dich dennoch: Sage ihm nie, daß ich noch lebe.“

Wieder ein sanftes Lachen, unterdessen der Drache sich niederläßt und träge zusammenrollt.

„Um das, werte Nadja, sei unbesorgt. Von mir wird er es nie erfahren.“

Indem sie sich umwendet, fällt ihr Blick durch das Fenster, unter dem sich der Garten des Burghofes erstreckt. Auf einem Stück Wiese am Rand liegt ihre Liebe und schläft – ohne Besinnung seit dem Ritus, der ihn ins Leben zurückrief. Zwischen den Zweigen eines Brombeerbusches leuchten zwei Katzenaugen hervor.

Ist gut, liebe Mishka. Bewache ihn für mich. Durch Deine Augen werde ich ihn sehen, wie an jenem Tag in den Wäldern von Darugh-D’Wan, wo wir uns das erste Mal begegneten.

Leb wohl, mein Leben.

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