Shadowrun Berlin

Die Online Erweiterung von Andreas AAS Schroth

[stern] Auf der Mauer, auf der Lauer [Volle Version]

Bildschirmfoto 2014-01-21 um 11.00.04

[25.01.2076] Eine Mauer trennte West- und Ostberlin im letzten Jahrhundert. Mauern sicherten die Konzernhochburgen in den Zeiten der Anarchie, ehe die Konzerne die Übernahme versuchten und ihrerseits die nicht einnehmbaren Gebiete mit einer Mauer umschlossen. Mit der Berliner Einheit endlich ist das Ende der Mauerzeiten für Berlin gekommen. Aber stimmt das?

Berlin, Lichtenberg. Zum dritten Mal in der letzten Viertelstunde hält das Taxi. Mahmoud Sekef, 36, Ork, muss aussteigen. Ich, Fahrgast und Sternreporter Patrick Faas, darf sitzenbleiben.

 Faas. Das ist doch der Idiot, der letztens diesen Artikel über die „Failed City“ Berlin geschrieben hat, oder?
 Fienchen

 Genau der. Gebürtiger Frankfurter, seit 3 Jahren wohnhaft in Wilmersdorf, in einer netten Prestige Community von Hortbau, den Saletzki Wohnarkaden. Hält sich für sehr schlau.
 Nakaira

Das Taxi, ein brauner Americar mit blauem Kotflügel links, kommt aus dem Gebiet der Furien. Mit denen haben die Rostklingen Stress. Kiezpolizei sind beide Gruppen, irgendwie, je nachdem, wie der Berliner Rechtsstreit um Polizeiausschreibungen, Berlinabgaben und Selbstjustiz einmal ausgehen wird. Mahmoud bleibt gelassen, redet auf den Oberpolizisten hier ein, ein Troll wie das Uralgebirge, mit schartigen Armklingen so lang, dass sie auf dem Boden schleifen. Einige Minuten und zwei Dosenbier Bestechung später fahren wir weiter. Alltag im alternativen Gebiet.

 Klar, wenn du extra durch die Nebenstraßen fährst, du Depp. Die Hauptverkehrsstraßen sind neutrales Gebiet, da hält dich keiner auf.
 Khan

 Der Mann ist auf der Suche nach spannenden Erlebnissen, um seinen Sim-Speicher zu füllen. Wundert mich, dass er nicht in eines der heftigen Gebiete gefahren ist. Hätte ihm da ein paar zeigen können.
 Russenrigger

 Dass die Hauptstrecken safe sind, muss ich auch mal relativieren: Tagsüber ja, und speziell dann wenn die Strecke auch von braven Drohnen genutzt wird. Nach Feierabend oder dort, wo nur Ghetto A mit Ghetto B verbunden wird, schaut das GANZ anders aus.
 Bombastor

Berlin, Tempelhof. „Sie betreten den sicheren Sektor“ steht auf dem Schild rechts des massiven, drei Meter hohen Stahltores, das links und rechts von wuchtigen Türmen mit Autogeschützen eingerahmt wird. Der Gardist überprüft meine Papiere, moniert meine implantierten Aufzeichnungsgeräte. Ich brauche eine Drehgenehmigung. Die aber habe ich nicht. Der Mann, dessen Gesichtszüge hinter der Plastscheibe seines Vollhelms kaum zu erahnen sind, macht sich einige Notizen. In meiner AR erscheint eine blaue Linie, die mich zum zuständigen Pressekontaktbüro führt. Außerhalb der mehrere Meter dicken Betonmauer.

Berlin, Moabit. Der Stephankiez umfasst ein etwa dreieckiges Gebiet nahe des Westhafens. Mitte ist ein Berliner Normalbezirk. Und der Kiez ist nach allen Seiten abgeriegelt. Vermauerte oder vergitterte Fenster im Erdgeschoss, mit Stahltoren verschlossene Straßen. Ich stehe am Besuchertor, ein typischer Berliner Innenhof, dem man das Hinterhaus geklaut hat. Offen zur angrenzenden Quitzowstraße – nach einem Raubritter benannt, irgendwie passend – und durch die frühere Hauseinfahrt geht‘s in den Kiez. Darüber: Zu Schießscharten vermauerte Fenster und Auslassrohre. Eine Burg, doch unkontrolliert gehe ich einfach durch. „Wozu diese Absperrung, wenn doch eh jeder rein darf?“ frage ich Erika Lange, Concierge und Chefin am Tor. „Für dann, wenn‘s passiert“, meint sie. Auf einigen Balkonen liegen Sandsäcke. „Vielleicht klappt das mit der Einheit“, sagt Erika: „Wenn nicht, sind wir für alles bereit. So wie früher.“ Normal, ja.

 Wir haben’s gerafft.
 Khan

Schon vor 200 Jahren begannen sich wohlhabende Bürger in Gated Communities („umschlossene Gemeinschaften“) zurückzuziehen, um sich von den unschöneren Effekten der Industrialisierung abzugrenzen.

 … wie Massenarmut, Dreck, Hunger, Kindersterblichkeit …
 Konnopke

Später, als solche Gemeinschaften auch für Normalbürger erschwinglich wurden, zogen sich die Superreichen noch weiter zurück, etwa in Golfclubs und aus dem Boden gestampfte Vorstädte sowie durch von Pförtnern versperrte Nobelwohnblöcke in den besten Lagen der Innenstädte. Die Motivation, sich vom Rest der Bevölkerung abzugrenzen, sind dabei stets dieselben: Angst vor realer oder eingebildeter Gefahr, Unzufriedenheit mit den städtischen Dienstleistungen sowie der Wunsch nach sozialer Abgrenzung führten zu einem stetigen Wachstum der Gated Communities, wenn auch auf geringem Niveau.

Ihren Durchbruch erlebten die umschlossenen Gemeinschaften mit dem Erwachen und der neuen Rechtsprechung zur Extraterritorialität der Megakonzerne. Heute sind die mit grenzartigen Kontrollen abgesperrten Wohnenklaven der großen Unternehmen zum Synonym für Gated Communities geworden, obwohl diese nur einen Teil der Gemeinschaften bilden:

„Das Erwachen und die Umwälzungen der Zeit, die Sorge vor Seuchen wie VITAS und MMVV und die beständige, mediengeschürte Panik vor marodierenden Banden führten in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts zu einer regelrechten Hysterie“, so Prof. Tanja Lindt-Seltzer vom Fachbereich Historie und Stadtentwicklung der Freien Universität Berlin: „Magie, Goblinisierung, Drachen, das Wiedererstarken religiösen Fundamentalismus, die fürchterlichen, auf Werken der Fantasy-Fiction beruhenden Vorurteile gegenüber Orks und Trollen sowie der parallele Zusammenbruch der öffentlichen Sicherungssysteme haben einen gewaltigen Bedarf an sicherem Wohnungsraum geschaffen, den die großen Konzerne sehr effizient bedienen konnten. Tatsächlich steht das Versprechen eines gesicherten Arbeits- und Wohnumfeldes mit funktionierenden Sozialleistungen nach wie im Zentrum der Attraktivität jedes mit Konzernbürgerrechten verbundenen Jobangebots.“

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 Jup, danke, hab die erwartbaren Nebendiskussionen zu Rassenkram denn mal dahin geparkt, wo die hingehören.
 Tolstoi

Laut Statista hat sich die Zahl der Gated Community Bewohner auf heutigem ADL-Gebiet (inklusive assoziierten Gebieten) zwischen 2000 und 2020 mehr als verzwanzigfacht. Für Berlin weist die Statistische Abteilung der BERVAG Zahlen von über 50% aus, die in Gated Communities der verschiedensten Art leben. Demnach ist das Leben hinter irgend einer Art gemeinschaftlicher Absicherung in der ehemaligen Hauptstadt zum Normalfall geworden.

Berlin-Grunewald. Handsteuerung ist verboten in der weitläufigen Parklandschaft der Nobelresidenz Grunewald. Bereits vor der Ausfahrt vom Rathenau-Kreisel unter dem Metropolis muss der Autopilot aktiviert und mit dem anlageneigenen Sicherheits- und Verkehrsmanagementsystem ipsOS verbunden werden. Ich lehne mich zurück und versuche zu entspannen. Ohne Abzubremsen surrt mein Wagen durch das Zugangstor, während mich eine offenbar auf meine Präferenzen abgestimmte AR-Schönheit in der Residenz Grunewald willkommen heißt und einige Anweisungen „zu meiner Sicherheit“ gibt. Die Grundstücke, an denen ich vorbeigleite, haben niedrige oder gar keine Mauern; beachtlich viele stehen zum Verkauf. Kameras sehe ich keine. Gepanzerte Sicherheitsfahrzeuge, die man so oft in Berlin sieht, ebenfalls nicht. Stattdessen fühle ich mich an die UCAS-Wohlfühl-Sitcom „Friendly Neighbors“ erinnert, die von 2010 bis 2060 eine sagenhafte Beliebtheit hatte.

 Dass da so einiges zum Verkauf steht wundert mich nicht. Viele Nobelimmobilien sind eh reine Spekulationsopbjekte. Außerdem dreht sich grad der Immobilienmarkt in Berlin: Die seit der Einheit geradezu explodierten Preise stagnieren, in einigen Gebieten fallen sie sogar – die direkte Folge der Unruhen im letzten Jahr, bzw. der gegenwärtigen Medien-Dauerbeschallung vom Scheitern der Berliner Einheit.
 Tolstoi

 Na, scheitert die denn etwa nicht?
 Bombator

 Absoluter Blödsinn. Es wird gezofft, und es brodelt, und einige Punkte müssen echt geklärt werden. Aber von Revolution oder nem plötzlichen Überfall durch Konzerninvasionstruppen sind wir himmelweit entfernt. Außerdem ist es den meisten Leuten grad viel zu kalt.
 Fienchen

 Kälte ist Gottes Art uns zu sagen, dass wir mehr Kapitalisten anzünden sollen.
 Antifa

Berlin-Gatow. Am Klingelbrett des zerkaut aussehenden Wohnblocks stehen keine Namen. Schilder sind unleserlich, herausgebrochen, von Feuerzeugen verbrannt. Wer nicht gefunden wird, dem kann man keinen Mahnbescheid bringen. Ich klingle überall, unsicher, ob die Klingel überhaupt funktioniert. „Bistn du?“ fragt eine Kinderstimme hinter mir. Der Mund, aus dem sie kommt, hat wenig Zähne und viel Herpes. Fleckige Haut, zerschlissene Trainingsjacken und Krätze scheinen die hiesigen Gang Colors zu sein. Jedes der sechs Kinder ist bewaffnet. Der Wortführer trägt eine Uzi, hat eine Fahrradkette um den Hals, an dem Dutzende Schlüssel zu Häusern und Wohnungen hängen. 

 Hihi, in seinem Simsinnfeed sieht man voll, wie schnell er den Rückzug antritt. Ich mein sogar, ich fühl beim Laufen was Nasses am Bein…
 Sim-Sam

Der Stadtplaner Claas Mehdorn vom Berliner Architekturbüro Wenzelt & Grabow hat den Kampf gegen seinen Bauch, den so viele ältere Zwerge führen, noch nicht aufgegeben.

 Yay, im Vorbeigehen ein bisschen Zwergenrassismus. Qualitätsjournalismus!
 Konnopke

 Zu sagen dass die meisten Zwerge nen dicken Bauch haben IST kein Rassismus, sondern Feststellen von Tatsachen.
 Fienchen

 Leute!
 Tolstoi

Am Schrank hinter seinem Schreibtisch im 5. Stock mit Ausblick auf den stillgelegten Amüsierpark am Zoologischen Garten liegen Hanteln und ein Elektrostimulationsgerät. Der Mann achtet auf sein Äußeres, manikürte Finger, gepflegter Goatee, Gamaschen, Guccio-Drillich im Simplicité-Stil.

„Die meisten Statistiken zu Gated Communities erfassen nur registrierte Wohnanlagen regulärer Konzerne. Aber selbst einzelne Häuser, deren Bewohner einen Haussicherheitsdienst oder eine Concierge beschäftigen – oder einer Gang Geld zahlen, damit nicht einfach jeder das Haus betreten kann– stellen eine Gated Community dar.“ Mehdorn gilt als Fachmann für die Berliner Stadtentwicklung, arbeitete 13 Jahren der Stadtverwaltung, zuletzt als BERVAG Abteilungsleiter. 

„In Berlin sind die überwiegenden GatComs nachträglich angelegt, das heißt sie wurden nicht beim Bau der Anlage oder des Hauses so konzipiert, sondern erst danach eingerichtet. Das gilt übrigens auch für viele Luxusanlagen.“

Mehdorn ruft eine Gesamtansicht Berlins auf, blendet die zuletzt für ihn wichtigen Daten aus, hebt mit wenigen Handbewegungen verschiedene Gebäudegruppen und Anlagen hervor. „Hier: Innerhalb der alternativen Gebiete sind die meisten GatComs in den Jahren der Anarchie entstanden und bestehen seitdem in der einen oder anderen Form fort. Im überwiegenden Teil der westlichen Berliner Gebiete herrscht noch bis zur Berliner Einheit eine entweder offene Struktur vor, oder Umgrenzungen umfassen wenige gesamte, bereits als Gated Community geplante Anlagen überwiegend im oberen Einkommensbereich.“

Das Bild verändert sich, Säulen schießen aus der Grafik hervor, welche die Veränderung der letzten Jahre anzeigen.

„Seitdem die Berliner Megakonzerne den ‚antianarchistischen Schutzwall‘ zu Ostberlin aufgelöst haben, haben diese die Bewohner der vormaligen ‚gesicherten Sektoren‘ außerhalb der extraterritorialen Konzernenklaven quasi der Gewalt aus dem anarchistischen Osten preisgegeben. Jedenfalls empfinden diese das so. Damit entstand quasi über Nacht ein gewaltiger Markt für Heimsicherheitstechnik – allein im Bereich Haustürsicherheit +386% – und im Bereich Immobilien ein nie da gewesener Bedarf an Doorman- bzw. Concierge-Gebäuden.“

Berlin-Reinickendorf. An der Rue Charles de Gaulle sitze ich im Café Le Piaf und höre dem Klavierspiel zu. Die Wände sind dekoriert mit einer Mélange alter Werbeplakate und quadratischer Hüllen antiker Musikmedien. Draußen fliegen Spatzen, wenn man die AR aktiviert hat. Und Didier kennt sich besser aus als der Stadtplanungsexperte. Die Entspannungsstadt Monamour sei eine Surburban New Town Community, sagte mir Herr Mehrdorn: „Ein typisches, nachträglich zur Gated Community geschlossenes, weitläufiges Wohngebiet mit eigenen Einkaufs-, Arbeits- und Freizeiteinrichtungen im Norden der Stadt mit einem überraschend französischen Flair. Müssen Sie sich mal ansehen“.

Didier, Elfe, kurze rote Haare, Sommersprossen, Steampunk-Bolero, hohe Schaftstiefel, Bloggerin und Lebenskünstlerin, widerspricht: „Eigentlich war die Anlage vom Bau her ein abgeriegeltes Quartier. Ganz, ganz früher. Zu Westberlinzeit oder sogar noch früher. Nach dem Zweiten Weltkrieg wohnten hier die französischen Offiziere.“

Danach ging die Gegend zum Teufel. War zu Beginn der Anarchie das, was Falkensee heute ist, und zum Ende der Anarchie so gut wie abbruchreif. „Dann kamen Leute von ESUS, denen das Gebiet wohl über irgendwelche Übernahmen eher zufällig zugefallen war, und die haben dann alles saniert.“ Ihr meergrünen Augen glänzen, wenn sie das sagt: „Seither kann man hier gut leben. Und sicherer als da draußen ist es auch.“ Eigentlich müsse man gar nicht rausgehen, es gebe ja alles hier, sogar ein klassisches Theater. „Ich liebe Berlin und seine Vielfalt“ sagt sie auch noch, fast entschuldigend, hinterher. 

„Das ist so typisch für Berlin, die Vielfalt zu lieben, und dann immer im eigenen Kiez zu hocken“, meint Taxifahrer Mahmoud. Ihm braucht man mit Angstmache nicht zu kommen. „Die Leute tun immer so, als ob jeder, der eine Waffe hat, auch gleich damit rumballert.“ Dann hätte Berlin mit seinen laut Statista geschätzten 5 Millionen Schusswaffen ein Problem. Und die Betreiber der boomenden Security Zone Communities noch bessere Argumente für den nächsten Sales Pitch.

Unsere letzte Station heute ist Berlin-Kreuzberg. Genauer: Die Gegend von Klein-Istanbul, das heute eher den Titel Neu-Bagdad verdient. Die Skalitzer Straße durchschneidet das Gebiet. Buntes Treiben. Und dazwischen immer wieder: Türkisfarbenen Metalltore, meist geöffnet, in fast jeder Nebenstraße. Wir halten am U-Bahnhof Kottbusser Tor, direkt vor dem Café Budayeen. Ich treffe Safiya Dafiya, eine Insiderin und Vermittlerin im Kiez.

 Ach nee. Unsere Safi?
 Konnopke

 Ja. Und nenn mich nicht so. Er hat gefragt. Ich habe geantwortet. Ganz einfach.
 Safiya Dafiya

 Hm. Mit deinen Antworten hast du dir beim Kalifen aber bestimmt keine Pluspunkte gemacht.
 Tolstoi

„Die Tore, ja. Die sind mehr zur Sicherheit der Besucher. Um zu zeigen, wo die Scharīʿa beginnt.“ Scharia bedeutet für mich ‚da, wo Frauen wegen Ehebruchs gesteinigt werden‘, und Safiya nickt: „Es gibt in der Scharia einige Gesetze, die, wenn man sie sehr konservativ handhabt, Dinge vorsehen, die für Außenstehende … beunruhigend sein können. Leider sind die Leute, welche im Großen Dschihad gekämpft und die Scharia hier durchgesetzt haben, nicht dafür bekannt, modern oder aufgeschlossen zu sein.“ Ich wundere mich über ihre kritische Offenheit gegenüber dem, was doch ‚ihre Leute‘ sind. Safiya winkt ab: „Ich bin Vermittler und damit Wanderer zwischen zwei Welten. Ich erkläre Leuten wie dir die Dinge so, dass du sie verstehst, auch wenn das bedeutet, die Dinge mit einfachen Worten zu erklären.“ 

Sie nickt einem streng blickenden Mann zu, den sie mir flüsternd als ‚Imam‘ vorstellt, bei den hier dominierenden Schiiten eine Art dank vererbtem Wissen unfehlbarer Richter. Er bleibt bei unserem Spaziergang die Straße hinab bei uns. Ein buntes Gewirr von Planen und Tüchern überspannt uns, taucht den ganzen Straßenzug ins Halbdunkel, wie einen Basar. Gelegentlich sehe ich arabisch aussehende Männer mit Sturmgewehren in Hauseingängen stehen. Sie beachten mich nicht.

Mit einfachen Worten bestätigt mir meine Führerin, dass verschiedene Punkte der Scharia in krassem Widerspruch zum Gesetz der ADL stehen, das in assoziierten Berlin doch angeblich gelten soll. „Das ist das Problem der Stadt. Die Einheit Berlins beruht auf zwei Prinzipien: Dem als Grundlage überall geltenden Gesetz der ADL, und dem Prinzip ‚mein Boden, meine Regeln‘, das ja auch für die Extraterritorialität der Megakonzern-Bezirke gilt. Die Einheit behauptet, dass beides vereinbar ist, und wir sehen, dass es nicht vereinbar ist. Weil das Prinzip ‚mein Boden, meine Regeln‘ alt ist und die Einheit neu, deshalb ziehen wir Grenzen um uns, bauen Mauern.“

Die Einheit will erkämpft werden, heißt es in vielen Reden zum Zustand dieser Stadt. Ich frage mich, wie weit man bei diesem Kampf gegen wird, und erkenne zumindest eines: Dass dieses Berlin von keiner Seite einfach genommen werden kann – es müsste Festung für Festung, Block für Block erkämpft werden.

Weil genau das undenkbar ist, der Nutzen in keinem Verhältnis zu den bitteren Kosten stünde, bleibt die Berliner Einheit bestehen. Zumindest solange, bis sich die letzten Gemeinsamkeiten der Stadt verflüchtigen und diese in ihre abertausenden Einzelstaaten zerbirst. Der Prozess wechselseitiger Verabschiedung aus der Gemeinschaft Berlin scheint schon begonnen zu haben.

 Ich muss mal schauen, wer hinter dem Typen steht. Irgendwer muss ja ein Interesse haben, dass das Thema „Failed City“ immer wieder gepuscht wird.
 Konnopke

 Muss nicht sein. Faas schreibt für ein ADL-Publikum, und aus dessen Sicht ist Berlin schon immer eine Failed City gewesen. Er bedient nur Ansichten, die ohnehin bestehen. Und ganz ehrlich: Es würde auch mir schwerfallen, nem Wessi zu erklären, warum Berlin trotz all dieses Gestresses funktioniert.
 Nakaira

 Trotzdem KOTZT es mich einfach an, wie Berlin immer wieder als Stadt von Chaos, Crime und Grusel ausgeschlachtet wird.
 Konnopke

 Sei mal nicht auf einem Auge blind: Für jedes Magazin, das genüsslich über die schlimmen Zustände hier schreibt, gibt es drei Magazine, die sich vor lauter Begeisterung über die Kultur und Mode hier ins Hösschen cremen.
 Nakaira

 Ja, ja, die Wahrheit liegt immer irgendwo dazwischen …
 Der_Kreuzberger

 Ach, Fresse, du Opfer.
 Antifa

 

5 Antworten zu “[stern] Auf der Mauer, auf der Lauer [Volle Version]

  1. Sphyxis Januar 28, 2014 um 12:49

    Sehr schöner Artikel, der nicht nur Freude macht zu lesen, sondern auch einen besseren Eindruck verschiedener Viertel in Berlin des Jahres 2076 vermittelt.

    Ich fände es schön, wenn es neben den aktuellen Newsmeldungen mehr Artikel dieser Art auf shadowrunberlin.de geben würde.

    Grüße,
    Sphyxis

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