Shadowrun Berlin

Die Online Erweiterung von Andreas AAS Schroth

Drachenbrut 05 | Von Dämonen und Engeln (5)

TIR NA N’OG – 2044

Natürlich weiß sie, daß es keinesfalls Betroffenheit ist, was den Elfen in diesem Moment bewegt – ebensowenig wie sie selbst.

Zwischen ihr und ihm herrscht ein stilles Einverständnis bezüglich Nikuriels, seit der Zeit damals nach der Plage, als Mae Deugh an ihren Hof kam und um Asyl bat.

Den Blick noch immer in Mitleid gesenkt, endigt sie ihre Ankündigung, blickt empor zu den beiden Reflexionen in ihrem Spiegel. Unwillkürlich muß sie an die böse Stiefmutter in Schneewittchen denken, forciert das aufsteigende Lachen aber gleich einem lange trainierten Reflex mühelos zurück.

„Das ist keine gute Kunde, die ihr mir da bringt, Lady Alachia. Die Wege des Schicksals erscheinen mir zuweilen von bitterer Ironie.“

Selbst heute noch hat Mae Deughs Sprache einen feinen Akzent, der auf seine Geburtsstatt hinweist – nach all diesen Jahren. Sie entsinnt sich der ersten Tage, da sie ihn kannte, wie sie ihre Fäden rund um den Dornenwald sponnen, um dem Volk von Barsaive gegen den drohenden Vormarsch der Theraner zu „helfen“.

Nichts hatte sich in all diesen Jahren geändert. Nichts hatten die Menschen und Zwerge und die anderen Rassen gelernt – am wenigsten die Menschen. Nicht damals, nicht im Mittelalter, nicht 1936, nicht heute.

„Und was gedenkt ihr zu tun, Mae Deugh?“

„Nun, jener Knabe ist nicht mehr als eines von so vielen meiner verlorenen Nachfahren. Mein Herr Vater war stets der Ansicht, daß sich für jeden ein Weg des Lebens ergibt, und obgleich mich so mancher dieser Wege im Herzen traurig stimmt, gibt es jedoch hier in Tir na n’Og zu dringliche Angelegenheiten, da O’Connor von uns ging, als daß wir unser Augenmerk von diesen Angelegenheiten abwenden können.“

Alachia kennt sein Herz. Weiß, daß es nun vor Freude klopft, nicht vor Leid. Vor Freude, und vor Liebe zu ihr, natürlich. Eben will sie sich verabschieden, da schneidet Lady Brane Deighs Stimme durch die kalte Stille des Raumes:

„Aber es ist Euer Bruder.“

Für einen kurzen Moment sind sowohl Alachia als vielmehr noch Mae Deugh wie gelähmt. Niemand hat den Alten Namen des Elfen fallen lassen, sorgsam hat Alachia ihre Worte in Andeutungen verborgen, die nur für Mae Deugh irgendeine Relevanz haben konnten.

Lady Branes Gesicht ist eine unschuldige Maske mit kindlichen Augen, und doch ist ihr Blick ein wenig härter als sonst, und Alachia erkennt, daß sie ihre Gegenspielerin unterschätzt hat.

Sie möchte gerne ihren kindlichen Leib nehmen und zerschmettern, die Wahrheit darüber, wie sie von Nikuriel erfahren hat, aus ihr herauszwingen. Ihr Gehirn rast, einen kurzen Moment versucht, Mae Deugh mit unschuldigem Blick zu fragen: „Euer Bruder?“ – aber solange sie nicht weiß, wieviel Lady Brane weiß,
wäre ein solcher Zug zu riskant.

Lady Brane tut keinem der beiden den Gefallen, ein Wort hinzuzufügen. Sanft schließt sie die Augen und genießt die sich ausbreitende Stille, und heimlich fügt sie in Gedanken hinzu:

„Ihr hattet recht, Freund. Es hat sich gelohnt.“

„Ich sagte es Euch, Mylady.“

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