Shadowrun Berlin

Die Online Erweiterung von Andreas AAS Schroth

Drachenbrut 05 | Von Dämonen und Engeln (3)


HAMBURG – 2053

„Ich bring die Sau um.“

„Erzähl“ keinen Scheiß. Der Typ isses doch gar nicht wert, daß Du Dich so über ihn aufregst. Gut, fein, er hat Dich beim Schmidt hocken lassen und sich mit den Daten abgesetzt, was soll’s ? Ging“s denn nun echt um so viel Geld ?“

„Ja, Scheiße. Mit der Kohle hätte ich mir endlich ein ASIST kaufen können.“

„Ein was ?“

„Ein Computermodul, daß mein Krüppeldeck endlich wieder zu nem vollwertigen Cyberdeck machen würde.“

Die Elfe kaut auf der Unterlippe, während sie neben dem Elfen in der schwarzen Lederkleidung durch den Regen stapft. Sie würde ihm gerne sagen, daß er sein Krüppeldeck eh vergessen sollte und sich stattdessen was neueres anschaffen sollte, wo man nicht immer monatelang auf irgendwelche russischen Ersatzteile wartet – aber sie kennt selbst genug Decker und weiß, wie sinnlos solch pragmatische Überlegungen sind.

Der Typ, um den es geht, nennt sich „Ratte“, ein durch und durch passender Name für ihn. Sie selbst hatte ihm von Anfang an nicht getraut – eine persönliche Regung, die sich grundsätzlich auf alle Leute erstreckte, die in irgendwelchen Gangs oder Organisationen drinhingen. Als „Runner muß man sich auf das Team verlassen können, und solche Typen entdecken nur allzu oft ihre Loyalität zu „ihrer“ Gruppe just im falschen Moment.

Von daher hatte sie der Abgang von Ratte nicht besonders gewundert, und eigentlich ging ihr die Sache ziemlich am Arsch vorbei. Gut, auch sie hat keine Kohle bekommen (und es wär ne nette Bezahlung gewesen) aber umgekehrt ist ihr Kohle auch wurscht.

„Fein, Tolstoi, is ja gut. Jetzt nimm“ Dich mal zusammen – die Drinks heute gehen auf mich.“

„Hmph. Swolotsch.“

Unwillkürlich muß die Elfe grinsen. Vor etwa einem Jahr hat sie den Elfen-Decker aus Wildost kennengelernt und seitdem einige Runs mit ihm durchgezogen. Beizeiten konnte er ungemein liebenswert erscheinen, aber die ganze Grütze in seinem Hirn hat auch bei ihm ihre Spuren hinterlassen – von den Geschichten, die er ihr unterschieben wollte, mal ganz abgesehen. Fein, er ist ein Psycho, aber was solls ? -Die meisten nennen mich auch verrückt.

Tolstois Gebrabbel neben ihr geht an ihr vorbei, denn schon kommt das CYBERIA’S in Sicht. Wenn sie Glück hat, hängen da genug Typen „rum, bei denen Tolstoi seinen Frust abladen kann – allen voran Chuck – und wer weiß, wenn er sich gefangen hat, könnte das noch eine ganz spaßige Nacht mit Tolstoi werden.

Nicht, daß sie mit ihm fest liiert war, aber nach einigen besonders stressigen Runs waren sie schon mal im Bett gewesen, zusammen. Die Jagd nach Tolstoi hatte einiges an Arbeit gekostet, aber summa summarum war der Einsatz lohnend gewesen – wenn der irre Decker auch allzu oft zum Beischlaf eher genötigt werden mußte und zuweilen plötzlich abbrach und vor sich hinstierte (ein Attribut, was sie schier zur Weißglut zu bringen vermochte). Meistens stritten sie sich dann – und landeten anschließend wieder im Bett, oder sie, oder der Elf, zogen ab.

Aus dem Inneren des CYBERIA’S schlagen ungewohnt sanfte Klänge auf den regennassen Gehsteig, und schon mault Tolstoi darüber, daß ihm solch sentimentaler Schwachsinn jetzt gerade noch gefehlt hätte und was Code sich denn dabei denke, ihn hierher zu schleppen, er wolle lieber in sein Night’s Edge blah blah – aber sie hat längst Chuck durch das Fenster erspäht und quetscht sich nun hastig durch die Tür.

Mürrisch bleibt Tolstoi an der Theke stehen und stellt zu seinem weiteren Mißfallen fest, daß hinter der Theke kein Barkeeper ist, also angelt er sich die verlockend in Reichweite stehende Wodkaflasche und gießt sich ein Glas ein.

Das kühle Feuer des Wodkas in seinem Hals beruhigt ihn etwas, und die sphärischen, sanften Klänge von Cyberia’s „Shadow Dancing“ tun ihr übriges dazu, ihn zu beruhigen.

Er dreht sich auf dem Barhocker um und fixiert grinsend eine Code, die mit einem spärlich behaarten, dicken Mann tanzt, eng an ihn geschmiegt. Das Bild ist nahezu ebenso absurd wie das der beiden…

Er hält inne in seinem Gedankengang, als ein leiser Stich in sein Herz fährt. Seine Cyberaugen zerfasern das Bild des anderen Paares in digitale Datenimpulse.

Der Mann trägt dunkle Kleidung, die irgendwann im ausgehenden letzten Jahrhundert mal kurzzeitig aktuell war, die Frau mit den kastanienbraunen Locken ist hochschwanger und blickt mit solcher Liebe zu dem Mann empor, daß es Tolstoi beinahe zerreißt.

Schnell fährt seine Flasche zu der Wodkaflasche, die er in seine Jackentasche steckt, dann steht er rasch auf und verläßt das Cyberia, und alles was bleibt ist das Geräusch seiner Füße auf dem nassen Pflaster und die letzten Zeilen des Liedes, die zu ihm dringen:

Forever

and ever

and ever.

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