Shadowrun Berlin

Die Online Erweiterung von Andreas AAS Schroth

Drachenbrut 04 | Die Brut des Drachen (2)


HAMBURG – 2044

Im Zwielicht der Stroboskoplichter verzerren sich selbst freundliche Gesichter zu Schattenbildern des Hasses. Ihren klaffenden Mäulern entweicht weißer Dampf, doch der Duft des Tabaks verliert sich im Versprechen des Verfalls. Durch die flirrenden Schatten der Tänzer blitzt ab und an ein weißes Gesicht auf, die Augen tief im Schatten des schwarzen Haares verborgen.

Die Glut seiner Zigarette enthüllt kurz seine müden Züge, den leeren Blick seiner Opti-II Cyberaugen, die Spuren von saurem Regen auf der zerfaserten Oberfläche seiner Lederjacke. Die anderen Jäger der Nacht meiden ihn, instinktiv, wie die Tiere einer Herde ein krankes Tier meiden. Der Gestalt in dem grauen Ledermantel auf der anderen Seite des Raumes ist es recht. Sein Blick zoomt in die Dunkelheit, Lichtverstärker zerreissen die Dunkelheit in gepixelte Grautöne.

Daten flirren über das Gesichtsfeld des Jägers, in der oberen Ecke öffnet sich ein Fenster, das das Gesicht eines schwarzhaarigen Elfen zeigt.

Übereinstimmung 89.8% – MATCH.

Es ist noch gar nicht so lange her, daß die Person in dem Ledermantel gemeinsam mit eben jenem Elfen gearbeitet hat. Der Run lief ohne Komplikation – ein Datasnatch aus einem Kongebäude nahe Geesthacht.

Seine Kenntnisse über den Elfen kommen ihm jetzt zugute: Der Typ ist ein Decker, ungecybert bis auf seine russischen Augen und das Datajack, das schon seit Jahren vor sich hin oxidiert. Ein Loser.

Gismaine nahm an, daß ihr Kontaktmann für den Run, Rote Wolke, Mitleid mit dem Ex-Soldaten gehabt hatte und ihn deshalb dem Team förmlich aufgedrängt hatte – was okay war, denn Dirty Gilbert hatte es beim Run davor zerblasen, und ein billiger Decker war besser als gar keiner.

Der Russe war, nach allem was Gismaine über ihn in Erfahrung hatte bringen können, vor X Jahren mal ein ziemlich heißes Talent gewesen, aber heute, ’44, war sein Wissen veraltet. Der Typ wußte das natürlich, klebte den Rest seines Verstandes mit Wodka und BTLs zu. Vermutlich würde er seinen Tod sogar begrüßen.

Eine schlanke Zigarette entzündend, denkt Gismaine über seine Optionen nach.

Scheiße, ich bin kein Verräter.

Die Waffe in seinem Brusthalfter schmiegt sich sanft an ihn, eine Automag .44, extra langer Lauf, Schall- und Blitzdämpfer. Geladen mit einer Silberkugel (der Decker hatte erwähnt, daß er gegen Silber allergisch sei – ein weiteres Indiz seiner Unprofessionalität – oder seines Todeswunsches).

Gismaine weiß nicht genau, worum er sich eigentlich Gedanken macht. Der Elf hat in irgendeinem Puff in Wildost einem Exec von AG Chemie das Licht ausgeknipst, und selbige Firma hat ein Kopfgeld von 2.000 auf seinen Kopf gepackt. Und hier sitzt der Typ im „Höllenloch“ und dröhnt sich die Rübe zu, als ob nichts wäre.

Wenn ich ihn nicht erledige, tut“s ein anderer – und ich brauche die Scheißkohle.

Langsam bewegt sich Gismaine vorwärts, zerteilt die Menge der Tänzer um sich herum. Blicke streifen seinen Blick, Augen erkennen den Blick des Jägers, wenden sich ab. Die Herde wird unruhig, weicht langsam zurück, riechend, daß der Jäger sein Opfer kennt, dankbar, daß sie es nicht selbst sind.

Blitze erhellen das bleiche Gesicht des Elfen, ein schlankes Kabel führt zu einem SimSinn-Gerät Marke Paradise von Daisaka-Sony. Neuanschaffung, mit der Kohle vom Run. Er wird nichts spüren.

Eine Bewegung zu seiner rechten läßt Gismaine innehalten. Flüchtig streift er sich eine Locke fahlblonden Haares aus seinen Augen, registriert die Bewegung erneut.

Auf der Theke erwacht die schwarze Gestalt einer Katze zum Leben, die er bis eben für ausgestopft gehalten hat. Sein Blick begegnet dem ihren. Goldene Augen leuchten ihm entgegen.

Gismaine bemerkt die Bewegung von Stoff auf seiner Haut, blickt herab zu seiner rechten Hand. Ungläubig starrt er auf die grazilen Finger, zwischen denen die Smartgun-Verbindung im Schein eines Stroboskoplasers kurz aufblitzt. Wie eine Spinne tastet sich seine Hand unter den Ledermantel, kriecht an seiner Brust empor.

Sein Kopf zuckt empor, zur Katze, die ihn ebenso wie vorher stumm fixiert – teilnahmslos. Seine Augen irren zwischen dem goldenen Glanz der Katzenaugen und seiner Hand umher, die nun das Silber der Automag von ihrer ledernen Umhüllung befreit hat. Das lähmende Entsetzen weicht der nackten Angst des Jägers, der erkennt, das er es ist, der gejagt wird.

In Panik wirft er sich nach vorne, prallt hart gegen den Körper einer Frau, die von der Wucht des Aufpralls zu Boden gerissen wird. Seine freie Hand schnellt in die Höhe, versucht, Halt am Rand der Theke zu finden, greift glattes Metall, während seine Beine unter ihm wegklappen.

Seinen Blick auf den der Katze geheftet, spürt er die Kühle der Waffenmündung auf seiner Schläfe. Schreie durchdringen sein Gehör, als die Herde in Panik auseinanderfährt. Das Klick der Waffenentsicherung sendet Erschütterungswellen durch seinen Kopf.

Goldene Augen funkeln ihn an.

Er blickt zurück.

Und flüstert.

„Warum ?“

– – –

Irgendetwas hat die Vögel aufgeschreckt, siehst Du, Mischka? Siehst Du sie aufsteigen aus den Tiefen der Wiesen, wie ihre Schwingen den Nebel zerreissen ? Ihre schweren schwarzen Leiber steigen empor aus dem Wiesengrund, heben sich hoch in unendlich blaue Himmel, blauer als alle Himmel, die je wirklich existiert haben. Ihre Schreie klingen so fremd, so voller Angst. Was hat sie erschreckt?

Da. Doch, ich höre es, wie ein sanfter Schauer aus einer fernen Welt. Ein Jäger hat geschossen, weit hinter den dornigen Wäldern, die dieses grüne Tal umgeben.

Meinst Du, er hat seine Beute erlegt, Mischka ? Hm ? Meinst Du?

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